Ein rechtspopulistisches Aushängeschild Über die Bezahlkarte für Asylsuchende
Politik
Es war einmal, und es ist kein schönes Märchen, von dem ich erzähle, und es ist auch kein Märchen. Aber es könnte ja noch eines werden.
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11. Oktober 2024
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Aber plötzlich waren da Menschen aus dem Westbalkan, da waren Romnja, „zwielichtige Gestalten“ aus orientalischen Ländern, Menschen, die anders aussahen, sich anders benahmen, anders leben wollten als es hier allgemein als wünschenswert definiert wurde. Und sie wollten ja auch nicht aus Widerstandsgründen nach Deutschland kommen oder hier bleiben, sondern aus „rein niedrigen Beweggründen, nämlich wirtschaftlichen“. Und weiter die Annahme, sie wollten auf keinen Fall arbeiten, sondern nur von der Stütze leben: sie und ihre zahlreiche Nachkommenschaft. All diese Annahmen, all diese verächtlichen Vorurteile verdichteten sich zu Gesetz und Verwaltung.
War der Asylartikel 16 ins Grundgesetz eingeschrieben worden als Mahnung, Erinnerung und Verbeugung vor den Opfern des Nationalsozialismus und seiner katastrophalen, Menschlichkeit zerstörenden Konsequenzen, so verlor er als sogenannter Asylkompromiss 1993 seine Grösse. Bis 1993 hiess es da nämlich: „16 (1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. … (Satz 2) Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht.“
Mit der Verabschiedung einer Änderung des Artikels 16, konkret Artikel 16 a, wurde das Recht auf Asyl ausgehöhlt. Niemand aus einem sogenannten sicheren Drittstaat – und als solche sind alle Nachbarländer der BRD definiert und viele andere mehr – hat nun Anspruch auf Asyl in Deutschland. CDU, FDP und SPD stimmten dieser Grundgesetzänderung zu und erreichten damit die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Kollektiver Verdacht gegen Geflüchtete muss aufgebrochen und dagegen die Wahrnehmung des einzelnen menschlichen Wesens und dessen Bedarfs kultiviert werden.
Das aber reichte den genannten Parteien nicht. Sie hielten das „Boot“, will sagen die deutsche Gesellschaft, schon lange für voll. Nach dem Motto „die Guten sind schon da“ wollten sie einen Riegel vorschieben vor Menschen aus dem Westbalkan und aus den Ländern des Nahen Ostens, aus den Ländern Afrikas, aus Iran, Afghanistan, Pakistan, aus Bangladesch, eben eigentlich aus allen Ländern, aus denen Menschen zu fliehen versuchten. Und weil diese Menschen ja aus „niedrigen Beweggründen“ ihre Herkunftsländer verliessen und sich in die „soziale Hängematte“ Deutschland begeben wollten, musste also an der Stellschraube „finanzielle Unterstützung“ gedreht werden.
Dazu gab es mannigfaltige und durchaus „kreativ-abscheuliche Phantasien“. Es ging darum, Menschen abzuschrecken, hierher zu kommen: Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitsverbot, Grenzübertrittsbescheinigungen mit der Gültigkeit von drei Wochen, Unterbringungseinrichtungen/Ankerzentren und so etwas, das Gutscheine genannt wurde. Die gab es in unterschiedlichen Grössenordnungen: 10, 20, 30, 50 Euro. Sie sollten den alltäglichen Lebensunterhalt ermöglichen. Zum einen war das zu wenig, zum anderen durfte weder Alkohol noch Tabak davon gekauft werden. Theaterbesuche, Presseartikel standen nicht im Programm, und um Himmels Willen bloss keine Anwaltskosten.
Kleine, feine Geschäfte nahmen die Gutscheine nicht an, nur die grossen Supermärkte. Bioläden, Tee- und Copy-Shops verweigerten die Annahme. Einzig die meisten der von türkischen oder iranischen Inhaber:innen geführten Geschäfte nahmen Gutscheine an – und hatten damit ihre Probleme. Denn sie mussten oft Wochen oder gar Monate warten, bis ihnen die Gutscheine vergütet wurden.
In dieser Zeit gab es im ganzen Land Aktionen, die Gutscheine der Geflüchteten aufzukaufen und ihnen dafür Bargeld zu tauschen. Viele Kirchengemeinden, Soziale Einrichtungen, aber auch private Menschen machten da mit. Man kann sagen, dass der üble Versuch, Menschen mit Migrationsvorgeschichte zu demütigen, zumindest einen positiven Effekt hatte: es wurden Menschen sensibilisiert für diese Schamlosigkeit, die darüber vorher nie nachgedacht hatten. Die Sache mit den Gutscheinen war denn 2013/2014 erledigt. Der Verwaltungsaufwand war enorm und kostspielig; offensichtlich hatten sich die Geflüchteten nicht im erwünschten Masse abschrecken lassen – und ausserdem war eine andere Zeit. Geflüchtete bekamen also ihren beschämend geringen Unterhalt bar ausgezahlt. Die Zeit verstrich. Merkels „Wir schaffen das“, das einhergegangen war mit der sog. Willkommenskultur für Menschen aus Irak und Syrien, verpuffte.
Zunächst leise, abwartend, zunehmend bösartiger kamen die Stimmen aus den rechten Ecken; nicht aufgehalten durch einen humanitären Aufschrei der Empörung aus den Ecken der anderen Parteien. Man war mit Klima beschäftigt, nicht mit Menschenrechten; so als könne das getrennt betrachtet werden; so als wären die Menschen nicht aus Wüsten und Überschwemmungsgebieten geflohen, nicht aus verödeten, mit Pestiziden verseuchten Gegenden; als zerstörten Kriege und Krisen, Milizen und Söldner nicht die Grundlagen des Lebens.
Der Krieg, den Putin in der Ukraine entfachte, brachte über 1.100.000 Frauen, Kinder und Männer nach Deutschland. Sie unterlagen glücklicherweise nicht dem Asylbewerberleistungsgesetz und wurden zunächst fraglos alimentiert. Aber ihre Zahl wurde und wird missbraucht, alle Geflüchteten zu diskreditieren; ihre Zahl als Bedrohung zu benennen und nicht als Chance. Die Geflüchteten werden nicht als Menschen gesehen, die wegen unglücklicher Umstände nach Europa, nach Deutschland kommen mussten und die nun hier ein neues Leben aufbauen sollten mit Arbeit, mit Bildung, mit Teilen von Erfahrungen, Freude, Liebe und Glück. Sie werden undifferenziert als eine Bedrohung dargestellt, die diese Gesellschaft zerstören will.
Heute also wieder die Abschreckung! Wieder die Unterstellung, Menschen kämen hierher, weil man hier so nett leben könnte, im Paradies sozusagen. Sie nähmen das „viele Geld“, das ihnen in den Rachen geschmissen werde, um ihre Familien im Herkunftsland zu unterstützen und nicht selbst arbeiten zu müssen. Sie kämen hierher, um Banden zu bilden, die kriminell aktiv werden wollten; die sich lustig machten über die Gesellschaften Europas und um sie dann zu vernichten. Sexuell fordernd würden sie alsbald die Macht übernehmen und unmenschliche Gesetze einführen, wie das Kalifat. Sie würden Frauenrechte beschneiden und die Demokratie mit Füssen treten.
Menschen, die Asyl suchen, sollten am besten an den Aussengrenzen der EU, am besten in undemokratischen Ländern, ihr Asylbegehren vortragen, um gar nicht erst nach Europa zu kommen. Europa, das mitverantwortlich ist für das unfassbare Unglück so vieler tausender und Millionen Menschen auf der Welt, will die Konsequenzen dessen nicht tragen.
Und die zunächst leisen, immer bösartiger werdenden Stimmen der Menschenverachtung wurden in immer weiteren gesellschaftlichen Kreisen und Parteien als das Notwendige, als das Vernünftige, als das Mass und die Mitte behauptet. Dabei ist es, was es ist: boshaft und menschenverachtend.
Nun also die Bezahlkarte: damit Migrant:innen nicht Geld in die Heimat schicken. Warum eigentlich nicht? Von dem bisschen Geld, das Geflüchtete erhalten, wird da nicht viel zu schicken sein. Die Migrant:innen, die mit sicherem Aufenthalt oder mit deutschem Pass hier leben, können tatsächlich Gelder überweisen. Und das ist die einzig wirklich wirksame Form von Entwicklungshilfe! Alles anderen kommt schlussendlich doch vielmehr dem Geberland zugute. Und was ginge es die Gesellschaft eigentlich an, wieviel Geld sich die Überlebenden vom Mund absparen, um ihren verzweifelten Familien zu Hause zu helfen?
Nun also die Bezahlkarte, damit nicht Schlepper(Organisationen) von unseren Steuergeldern bezahlt werden. Neben dem, dass die Schlepper:innen, die Menschen aus der DDR zur Flucht verholfen hatten, in einem ausgesprochen guten Ruf stehen, gäbe es eine überaus effektive Methode, den heutigen, gewiss oft kriminellen und brutalen Schleppern das Handwerk zu legen: sichere Fluchtwege, realistische Möglichkeiten, einen legalen Aufenthalt zu bekommen, um in Europa leben und arbeiten zu können, eine Politik, die Fluchtgründe verhindert.
Nun also die Bezahlkarte: ein geringes Taschengeld als Barauszahlung (maximal 50 Euro), der grosse Rest auf einer Chipkarte (ca. 400 Euro), mit der man einkaufen gehen kann; also nicht Theater- oder Zirkuskarten, Eintritt für das Schwimmbad oder die Bezahlung der Anwältin oder des Anwalts. Das zum Leben Notwendige wird definiert als das zum Überleben Notwendige. Nicht, was den Menschen ausmacht, sondern einzig das, was sie, was ihn am Verhungern hindert. Das will man sich nicht nachsagen lassen. Wie lange noch?
Wenn Ängste geschürt werden, wenn dem Populismus von allen Seiten her Tür und Tor geöffnet werden, wie lange dauert es dann noch, bis auch das Verhungern keine Schamgrenze mehr ist? Wenn der Bundeskanzler schon einstimmt in den Hetzgesang der Abschiebung, selbst in Folter und Tod, wo sind da noch „Mass und Mitte“?
Nun also die Bezahlkarte – keine antiquierten Gutscheine aus Papier, sondern moderne, digitale Plastikchips, die auch nicht mehr so aufwendig in der Bearbeitung sein sollen. Das ist wichtig: es darf ja nicht teurer werden als bislang und es soll auch nicht so viel Bearbeitungszeit brauchen: Zeit ist schliesslich auch Geld. Schon jetzt erfahren wir von zunächst einem Sozialgericht, dass die Menge an Bargeld individuell am tatsächlichen Bedarf geregelt sein muss. Das jeweils festzustellen, könnte dauern. Time is money.
Wir hören von den Hilfsorganisationen (Pro Asyl, GGF, Paritätischer, die Kirchen und Gewerkschaften u.a.), dass der seit Juni 2024 geltende Beschluss der Innenministerkonferenz Menschen unerträglich diskriminiert. Das Ziel der Abschreckung wird vermutlich nicht einmal erreicht.
Was Menschen immer noch attraktiv an Europa, an Deutschland finden, sind Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Der inzwischen der Vergangenheit angehörende Versuch der nicht mehr amtierenden Tory-Regierung in Grossbritannien, Hilfe Suchende nach Ruanda abzuschieben, macht Hoffnung darauf, dass auch die EU-Staaten diese zynische Abwehr von Menschen nicht weiter verfolgen werden.
Die Bezahlkarte verschärft in der Gesellschaft den unbegründeten Verdacht, hier suchten nicht Menschen Schutz, sondern sie wollten mit krimineller Energie dem Land schaden. Die AfD steht nicht mehr allein damit, diesen Verdacht zu schüren und zu verschärfen. Auch CDU, FDP, SPD, Grüne und die BSW unterstützen diese Entwicklung. Und diese Entwicklung ist schädlich! Sie führt weiter in Hass, in die wachsende Bereitschaft zur Gewalt, zur Respektlosigkeit, zur Spaltung der Gesellschaft.
Dem muss sich die Gesellschaft verweigern. Kollektiver Verdacht gegen Geflüchtete muss aufgebrochen werden und dagegen die Wahrnehmung des einzelnen menschlichen Wesens und dessen Bedarfs kultiviert werden.
Straftaten (nicht nur) von Migrant:innen können und werden auch heute schon geahndet. Und wer diese Gesellschaft dauerhaft gefährdet, kann in Sicherungsverwahrung genommen werden.
Bedrohungen unseres Grundgesetzes können vom GG selbst abgewehrt werden, wenn das denn von den Verantwortlichen ernst genommen wird. Unsere Kinder (und das sind alle Kinder, die in diesem Land leben) sollten lernen, wie bunt und vielfältig diese Welt ist und welche wunderbaren Möglichkeiten ihnen offenstehen. Sie sollten nicht Angst und Abschottung lernen, sondern Toleranz und Beweglichkeit des Denkens. Und Menschen, die Schutz suchen und Sicherheit, sollen Schutz und Sicherheit hier finden.
Die Autorin ist aktiv bei der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA) – „Selbstbestimmung statt Bezahlkarte“
Das Wort „Bezahlkarte“ hört sich harmlos an, als ob man mit einer Bankkarte bezahlen könnte. Aber der Eindruck täuscht, die Bezahlkarte schränkt die Zahlungsfähigkeit ein. Ein paar Beispiele: Eine Bezahlung ist nur in ausgewählten Geschäften, nur in einem eingeschränkten Gebiet, nicht für Online- oder Abokäufe oder Überweisungen möglich. Auch kann man nicht auf Märkten einkaufen oder Rechtsbeistände bezahlen.
Diese Diskriminierung von geflüchteten Menschen möchte die Kölner Kampagne „Selbstbestimmung statt Bezahlkarte“ verhindern. Bitte unterstützt die Kampagne und unterschreibt die Online-Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/selbstbestimmung-statt-bezahlkarte
Diese Diskriminierung von geflüchteten Menschen möchte die Kölner Kampagne „Selbstbestimmung statt Bezahlkarte“ verhindern. Bitte unterstützt die Kampagne und unterschreibt die Online-Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/selbstbestimmung-statt-bezahlkarte